Das Brauwesen im mittelalterlichen Dortmund
Von Markus Hellemanns
"Ein Rekordsommer!" So oder ähnlich betitelten die Medien die hohen Temperaturen des vergangenen Sommers und illustrierten dies nicht selten mit Bildern von Biergärten und Lokalen, in denen sich unzählige Menschen dem Genusse des Gerstensaftes in freier Natur hingaben. Bier - heute ein Konsumgut wie jedes andere - war damals nicht nur ein Genuss- sondern vor allem ein Grundnahrungsmittel, dessen Herstellung Sorgfalt erforderte. Wie noch gezeigt wird, unterlag in der freien und Reichsstadt Dortmund die Produktion des Bieres schon Jahrhunderte vor dem heute so häufig beschworenen Reinheitsgebot des Bayernherzogs Wilhelm IV. aus dem Jahre 1516 einer städtischen Aufsicht und Qualitätspflege; allerdings waren die Ingredienzien in Dortmund zu diesem früheren Zeitpunkt andere gewesen.
Es darf vermutet werden, dass Dortmund über eine weit über das 13. Jahrhundert zurückreichende Brautradition verfügte, doch lässt sich diese erst seit der Mitte dieses Jahrhunderts auch schriftlich nachweisen, da dem großen Stadtbrand von 1232 auch die schriftliche Überlieferung Dortmunds zum Opfer fiel. Somit kann erst der um 1250 verfasste Artikel 18 der ältesten niedergeschriebenen städtischen Statuten über die Tatsache informieren, dass ein Richter nicht ohne die Mitwirkung der Ratsmitglieder eine Frau, die Bier zubereitet, anklagen darf. Weiterhin lässt allein schon die Aufnahme dieser Regelung in die städtischen Statuten die Vermutung zu, dass die Bierherstellung bis dato alltäglich, also schon über einen längeren Zeitraum betrieben worden war. Ferner darf angenommen werden, dass es sich bei diesen Braufrauen um vom Rat der Stadt besoldete Personen handelte, die die Bierherstellung professionell betrieben.
Das Dortmunder Bier beinhaltete damals laut den Stadtrechnungen von 1390 bis 1398 neben Gersten- bzw. Hafermalz den Gär- und Würzstoff Grut, der außer bestimmten Harzen, Hopfen und Lorbeer auch zu einem großen Teil die Sumpfpflanze Porst, bekannter unter der Bezeichnung Moor-Rosmarin, als Bestandteil aufwies. In zu hohen Dosen wirkte Porst allerdings nicht gerade gesundheitsförderlich, so dass die Verwendung hohe Sorgfalt erforderte.
1548 klagt der Stadtchronist Dietrich Westhoff über eine regelrechte Verdrängung des Grutbiers durch andere Sorten, so dass schließlich des edeln gruten beers wenig gebrouwert wert. Für diese These spricht auch die Tatsache, dass die Verbindung der Brauordnungen mit den Vorschriften für das Bäckereigewerbe im Unterschied zu anderen Städten in Dortmund erst im Jahre 1604 nachzuweisen ist. Offenkundig hat die Hefe, die auch heute noch beide Berufsgruppen zur Herstellung ihrer Produkte nutzen, für die Zubereitung von Grutbier keine Rolle gespielt.
Doch gab der Rat bereits im Jahre 1543 die reguläre Grutproduktion wegen Absatzmangels auf. Daraufhin stellte der letzte Gruter Johann Werner die Grut nun auf eigene Rechnung her, was dem Rat im Jahre 1545 ganz recht zu sein schien. In den Ratswahlstatuten war schließlich festgelegt, dass den Ratsherren Grutbier serviert werden sollte, doch bekamen diese ein Jahr zuvor das neumodische Hopfenbier vorgesetzt, das aber wohl den Ratsherren weit weniger gemundet hatte. So erfuhr das ehrwürdige Grutbier zumindest in diesem Jahr noch eine Würdigung, die aber nicht verhindern konnte, dass der letzte Gruter 1551 sein Gewerbe aufgab, dan er wort alt und dat gesichte entvel ime seher, wie Westhoff zu berichten weiß. Die lange, dreihundertjährige Tradition der Grutbierherstellung fand somit ein Ende, und der "Markt" war für neuere Biersorten offen.