"Schnapskasinos" und Ausflugslokale.
Betrachtungen zur Dortmunder Gaststättenkultur im ausgehenden 19. Jahrhundert
Von Jürgen Börger
Gaststätten, Wirtschaften und Kneipen gelten gemeinhin als wahre Institutionen des Ruhrgebiets. Dies trifft in besonderer Weise auf Dortmund zu. Es verwundert darum nicht, dass gerade das neben dem Bier wohl bekannteste Markenzeichen, der BVB, in einer Gastwirtschaft seinen Anfang nahm. Am 20. Dezember 1909 trafen sich im Restaurant "Zum Wildschütz" an der Oesterholzstraße mehr als vierzig jugendliche Sportfreunde, um den Ballspielverein Borussia zu gründen. Nicht nur der Gründungsort, auch der Name Borussia ist mit dem Bier verknüpft: Pate für den Namen stand nämlich die Borussia-Brauerei an der Steigerstraße. Sie war zwar schon 1901 in Konkurs gegangen, ein altes Brauereischild pries aber wohl immer noch ihr Bier im "Wildschütz" an.
So sehr Kneipen und Bier heute für Dortmund stehen mögen: Im ausgehenden 19. Jahrhundert gehörte insbesondere das Ruhrgebiet, bezogen auf die Anzahl der Gaststätten pro Einwohner, zu den eher unterversorgten Gegenden im Deutschen Reich. Die Wirtshäuser lagen meist im Stadtzentrum und bedienten, wie die "Krone am Markt", traditionell nur das Bürgertum und Reisende. Außerdem war ein Besuch aufgrund der langen Wege in den weitläufigen Industriegemeinden und -städten schwierig. Die "Selbsthülfe", die im Sport und in den zahllosen anderen Freizeitaktivitäten - so das Brieftaubenzüchten oder der Gesangverein - zum Ausdruck kam, sollte sich auch auf den Bereich der Gasthäuser ausdehnen.
Eine Sonderform zu den bereits bestehenden Konsumvereinen bildeten in diesem Sinne die Schnapskasinos. Der Name Schnapskasino deutet bereits darauf hin, dass hier nicht in erster Linie Bier, sondern vorwiegend Branntwein getrunken wurde. Mit der Gründung von Schnapskasinos sollte aber nicht allein der Alkoholgenuss verbilligt werden. Sie ermöglichten preiswerte, von Wirten und Polizeibehörden unabhängige Geselligkeit und Erholung. Die Kasinos bedurften keiner Gaststättenkonzession, da sie pro forma geschlossene Gesellschaften bildeten. Sie konnten praktisch durch jedermann betrieben werden. Ebenso entfiel wegen der genossenschaftlichen Organisationsform die Polizeistunde.
Neben den Schnapskasinos erfreuten sich Ausflugsgaststätten immer größerer Beliebtheit. Besonders attraktive Standorte entstanden nicht anders als heute dort, wo ohnehin ein besonderer Besucherandrang herrschte. Letzteres war bei der Kronenburg der Fall. Seit 1840 besaß die Familie Wencker hier Kellereien für Bier. Die Errichtung der Gaststätte "Kronenburg" an der Märkischen Straße folgte der Idee, bayerische Biergärten nach Dortmund zu bringen. Musikalische Veranstaltungen, Feuerwerke und der Ausbau des Festsaals machten die Kronenburg zu einer Attraktion.
Ein Gegenpol zur Kronenburg entstand am Fredenbaum im Norden der Stadt. Am Fredenbaumwald konnte man schon in den 1870er Jahren Festveranstaltungen besuchen. Nach 1899 und der Eröffnung des Dortmund-Ems-Kanals bildete der Fredenbaum auch das Eingangstor für den Besuch des Kanals. Am Fredenbaum fanden nicht nur Feste der Krieger- und Schützenvereine, sondern auch landwirtschaftliche und andere Ausstellungen statt. Festsaal und Festplatz bildeten den zentralen Besucherbereich. Letzterer wurde später in den "Vergnügungspark Fredenbaum" (Lunapark) umgebaut. Im Festsaal fanden Konzerte von Orchestern, Ringkämpfe, Kriegsausstellungen und politische Veranstaltungen statt, während im Lunapark eine Wasserrutschbahn, Schießstände sowie eine Gebirgs- und Rodelbahn den Besucher erwarteten. Schließlich wurde auch hier Bayern zum Vorbild genommen. Aus dem Festsaal entstand das Lokal "Oberbayern".